Es hat immer schon zwei Barack Obamas gegeben: einen dynamischen und gewinnenden Wahlkämpfer, den Hoffnungsträger der Nation, der dieser Nation ein Versprechen machte und für sie zum Versprechen wurde. Und es gibt einen zweiten, einen „regierenden Obama“ - einen professoral wirkenden und kompliziert sprechenden Präsidenten, dessen Stil und Politik für viele Wähler/innen das Versprechen seines Wahlkampfes nie ganz einzulösen vermochten.
Es hat auch immer schon zwei Mitt Romneys gegeben: Ein agiler, gewinnender und schlagfertiger Romney, der sich stolz als überparteilich zu präsentieren wusste, überzeugte seinerzeit die Wählerschaft eines progressiven US-Bundesstaates. Entgegen der Mehrheitsmeinung seiner eigenen Partei befürwortete er das Recht der Frauen auf Abtreibung und gab dem Staat Massachusetts eines der damals fortschrittlichsten Gesundheitssysteme der Vereinigten Staaten. Doch auch dieser Romney scheint einen politischen Doppelgänger zu haben – einen arrogant und empathielos wirkenden Multimillionär, der hin und wieder aus Opportunität mit konservativen Ideen flirtet und 47 % der US-Wählerschaft als Faulenzer diffamiert.
Im ersten Kandidatenduell in Denver traf der schlechtere Obama auf den besseren Romney. An der Luft oder der Höhenlage der Stadt (wie dies Al Gore behauptet) hat es schwerlich gelegen. Vielmehr hat sich die gängige Erkenntnis der Wahlkampffachleute bewahrheitet, wonach die erste Wahlkampfdebatte dem antretenden Kandidaten stärker als dem Amtsinhaber nützt. Schon die Tatsache, dass ein Präsidentschaftskandidat neben den agierenden Präsidentn, dem mächtigsten Oberhaupt der „demokratischen Welt“, tritt, wertet den Herausforderer traditionell auf. Zu diesem Neulingsbonus kommt der Amtsinhabermalus hinzu: Der Präsident/die Präsidentin einer großen Nation hat wenig Zeit zur Vorbereitung, er oder sie muss die Nation eben „nebenbei“ auch noch regieren.
Was Obama und Romney in Denver lieferten, lässt sich aber durch objektive Faktoren nicht abschließend erklären. Vielmehr offenbart der Ausgang des Duells, dass der republikanische Herausforderer trotz Pannen und Dummheiten ein besserer Politiker ist, als es viele vermuten, und dass Präsident Obama auch im Wahlkampf nicht immer auf der Höhe der Zeit ist. Es lässt sich aber auch vermuten, dass Obama in Denver eine bewusste stilistische Entscheidung getroffen hat und diese Entscheidung ihm mittelfristig schadet. Für einen Amtsinhaber oder eine Amtsinhaberin ist es immer schwer, in einer solchen Debatte den richtigen Ton zu treffen. Wer leidenschaftlich und energisch auftritt, läuft Gefahr, verbissen zu wirken. Wer Selbstsicherheit ausstrahlen will, riskiert arrogant rüberzukommen. Und ein in sich ruhender Amtsinhaber kommt möglicherweise als lahmer Selbstverteidiger an. Obama scheint auf die Ruhe gesetzt zu haben. Er sah müde, verunsichert und unmotiviert aus: der Blick - meist gesenkt, auf den Moderator oder das Pult gerichtet; der Stil - meist defensiv. Es gab zu viel offenes Lob an den Gegner und zu sehr versteckte, kaum erkennbare Kritik. Hinzu kam seine gewohnte Obama-Art, das jeweils erste Wort eines Satzes mehrmals zu wiederholen. Das gibt Zeit zum Nahdenken und wirkt natürlich, kann aber, wie letzte Woche, als Mangel an Sicherheit und Vorbereitung eingestuft werden.
Inhalte bleiben auf der Strecke
Auf der Strecke bleibt bei aller schonungslosen „Theaterkritik“ (Begriff von Paul Krugman), was die Kandidaten den Wählerinnen und Wählern eigentlich gesagt haben und wofür sie tatsächlich stehen. Hier wird deutlich, wie sehr mittlerweile die Wahlkampfstilistik die Inhalte überdeckt. Zwei Beispiele sind besonders charakteristisch: Gerade das Thema der Energiepolitik erlaubte beiden Kandidaten gleich am Anfang der Debatte, sich voneinander abzugrenzen und je ein klares Profil zu gewinnen: Obama will auch weiterhin auf staatliche Unterstützung für die Erneuerbaren setzen, Romney steht auf der Seite der fossilen Energieträger, will Ölförderung und Kohle vorantreiben. Romney mochte bei diesem Thema für den einen oder anderen überzeugend klingen, aber nur deshalb, weil er Fakten überzog. Eine Analyse der Washington Times zeigt deutlich, wie unscharf die Kritik Romneys an Obamas Politik war. Nicht einmal der Vorwurf, die Erneuerbaren würden von Obamas Regierung mit USD 90 Milliarden subventioniert, hat gestimmt: Dies gilt für höchstens 40 Prozent des Betrags, alles andere sind Investitionen in die Erneuerung der Energienetze und Verkehrsinfrastruktur sowie in Energieeffizienz.
Auch bei der Kritik an der sog. „Obamacare“ glänzte der erfolgreiche Rhetoriker Romney mit Verdrehungen und Wortspielereien: Seine Behauptung, auch er würde die Versicherten mit Vorerkrankungen von den Leistungen der Krankenkassen profitieren lassen, ist schlicht falsch. Darauf weist Paul Krugman in seiner Kolumne bei New York Times hin. Im Gegenteil, Romneys Pläne sehen keine Garantien für Amerikaner/innen mit Vorerkrankungen vor und würden dafür sorgen, dass 89 bis 45 Millionen Menschen den Versicherungsschutz verlieren. Da hat der Republikaner dem staunenden Publikum mit guter Miene ein schlechtes Spiel verkauft.
Die Beispiele zeigen, wie sehr der positive Eindruck vom Denver-Romney täuscht. Sie zeigen aber auch, wie viele Chancen Präsident Obama verschenkte. Debatten hin oder her: Der Unterschied zwischen dem schlechtesten Obama und dem besten Romney ist immer noch der: Obama mag den Stil seiner Politik wechseln, aber nicht die ihr zugrunde liegenden Prinzipien. Die verschiedenen Romneys unterscheiden sich hingegen durch ihre jeweiligen politischen Inhalte. Und damit müsste klar sein, was auch den schlechtesten Obama vom besseren Romney unterscheidet - das Mehr an Glaubwürdigkeit.
Dr. Sergey Lagodinsky leitet das Referat EU/Nordamerika bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.